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Anette Bronder: Der Fokus europäischer Unternehmen muss auf einem schnellen digitalen Wandel liegen, um auf dem globalen Markt konkurrenzfähig zu bleiben

Neben dem aktuellen schrecklichen Konflikt in der Ukraine und der andauernden Covid Pandemie, die aktuell Europa beherrschen, weist Anette Bronder nochmals daraufhin, das wir trotz allem jetzt nicht die Notwendigkeit der digitalen Transformation in diversen Sektoren und eine weitere konsequente Umsetzung und vor allem schnellere Umsetzung, im Auge behalten müssen.

„Dieser Kontinent hat die erste Halbzeit der Digitalisierung verschlafen. Wir haben viel in den letzten Jahren darüber geredet und diskutiert. Den nötigen Sprung haben wir aber schon vor einigen Jahren nicht geschafft“, sagte Bronder schon während einer Grundsatzrede auf der Huawei Connect Konferenz im Jahr 2017.

Anette Bronder hat als Fachexpertin über zwei Jahrzehnte Erfahrung in der europäischen Telekommunikations- und Technologiebranche. Im Jahr 2021 wurde sie wiederum im Manager Magazin Liste der 100 einflussreichsten Frauen der deutschen Wirtschaft  unter die Top 100 gewählt.

Die Verfechterin ganzheitlicher digitaler Lösungen hat kürzlich eine Reihe von Herausforderungen angesprochen, denen sich europäische Unternehmen im Zusammenhang mit der Digitalisierung stellen müssen, aber auch Lösungen, durch die Unternehmen global wettbewerbsfähig bleiben können und müssen.

Anette Bronder: „Wir haben die erste Halbzeit der Digitalisierung verschlafen“

Europäische Unternehmen seien noch tief in der „alten Wirtschaft“ verankert, meint Bronder und vergleicht sie dabei aufgrund ihrer Zuverlässigkeit und Widerstandsfähigkeit mit grossen „Tankern“. Trotz vorhandener Stärke und Stabilität fehlt es eindeutig Agilität und der notwendigen diskruptiven Einstellung von Unternehmen der „neuen Wirtschaft“ bzw. der digitalen Wirtschaft, wie z. B. Tech-Unternehmen im Silicon Valley und Start-ups in China, die sie mit Schnellbooten vergleicht.

Diese agileren Unternehmen haben eine völlig andere Einstellung zu Technologie und Risiken. Sie sehen Technologie als Chance, bauen Projekte von Grund auf neu und haben keine Angst vor dem Misserfolg. Dadurch sind sie immer auf dem neuesten Stand, während sich europäische Unternehmen noch Bestandswahrung und viel Bürokratie herumschlagen.

„Wenn Sie die Technologie nicht als Chance, sondern als Bedrohung sehen, stehen Sie sich selbst im Weg“, erklärt Bronder.

Selbst Unternehmen, die über tragfähige technologische Konzepte verfügen, seien oft zu langsam, oder kämen zu spät auf den Markt. Dadurch seien sie in einem schnelllebigen digitalen Markt konsequent im Nachteil.

„Die [europäische] Automobilindustrie hat lange gebraucht, um zu verstehen, dass ein Tesla-Auto weitreichende Folgen nach sich ziehen würde. Übrigens: Die Deutschen hatten das Elektroauto-Konzept zuerst, aber es verschwand in der Schublade und andere Unternehmen sind konsequent mit der Umsetzung gestartet.“

Bronder bleibt jedoch positiv und meint, dass Europa im digitalen Wettlauf aufhole. Allerdings müssten die Unternehmen ihre Geschäftsabläufe aktualisieren und ein modernes, digitales Modell einführen, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben wollen. Bronder gibt im Folgenden einen Überblick über die zentralen Herausforderungen.

Die Herausforderungen der europäischen Unternehmen beim digitalen Wandel

Es gibt eine Vielzahl an Herausforderungen, denen europäische Unternehmen gegenüberstehen. Dabei müssen nicht alle Unternehmen die gleichen Hindernisse bei der Digitalisierung überwinden. Anette Bronder ist aber der Ansicht, dass in den folgenden Bereichen akuter Handlungsbedarf besteht.

Eingeschränkter Zugang zu Daten

Europa braucht eine viel schnellere „Datenrevolution“. Daten sind der Schlüssel zum Wettbewerbsvorteil in der digitalen Welt, denn nur durch konsequent digitalisierte Daten können Unternehmen Lösungen schnell entwickeln und Kunden bereitstellen.

Anette Bronder erklärte, dass während der Corona-Pandemie medizinische Fachkräfte in der Lage waren, die Ausbreitung des Virus anhand von Gesundheits-, Wirtschafts- und Sozialdaten aus verschiedenen Quellen plattformübergreifend zu verfolgen. Früher hätte es Wochen gedauert, bis diese Art von „Schnappschuss“ erstellt worden wäre. Aber durch die Verwendung von Datensätzen und automatisierten Anwendungen erhielten Forscher mehrmals pro Stunde aktualisierte Daten.

Viele der Unternehmen in Europa haben momentan keinen eindeutigen Zugang zu Daten. Das liegt nicht nur an den staatlichen Vorschriften. Die hierarchischen Organisationsstrukturen, interkulturelle Herausforderungen sowie fehlende Technologien schränken die Unternehmen ein. Eine effektive Beteiligung am modernen Handel ist somit nicht gegeben. Unternehmen müssen in Data Governance investieren, um das Potenzial ihrer Daten auszuschöpfen und den Schutz der Kundendaten zu gewährleisten.

Hierarchische Sperren

Anette Bronder spricht oft von den veralteten Hierarchien in europäischen Unternehmen. Diese Strukturen würden das Geschäft ausbremsen und den Fortschritt hemmen.

Bronder drängt darauf, dass die wichtigste Veränderung die digitale Befähigung der Mitarbeiter sei.

„Die IT ist nicht mehr lediglich Teil der IT-Abteilung“, erklärt sie. „Und Technologie ist nicht mehr Teil des Geschäfts, sie ist das Geschäft, ob Sie wollen oder nicht. Das bedeutet, dass wir aufhören müssen, die Mitarbeiter in Bezug auf ihre ‚Schlüsselfunktion‘ oder ‚Schlüsselrolle‘ zu betrachten.

Bronders Umdenken der Organisationshierarchie mag radikal erscheinen, aber Unternehmen im Silicon Valley lehnen die klassische Struktur mit getrennten Abteilungen und fließbandartiger Aufgabendelegation schon seit langem ab.

Es ist an der Zeit, dass die europäischen Unternehmen ihre starren Hierarchien zugunsten agiler und engagierter Organisationsstrukturen aufgeben. Bronder beschreibt eine ideale Arbeitsumgebung so:

„Unternehmen müssen Mitarbeiterinteraktionen neu denken, und zwar basierend darauf, wie man in der digitalen Welt produktiv sein kann. Traditionelle Hierarchien sollten durch selbst organisierte Teams und gemeinsame Entscheidungsfindung ersetzt werden. Das schafft ein Umfeld, das zu ständigem Lernen anspornt – auch weil sich die Mitarbeiter sicher und befähigt fühlen, ihre Mission voranzutreiben.“

Veraltete Kooperations- und Wettbewerbskonzepte

„Kooperationspartner – nicht Macht – machen die digitale Welt aus“, sagt Bronder.

Die Grenzen zwischen Zusammenarbeit und Wettbewerb verschwimmen oft. Alteingesessene europäische Unternehmen sind häufig zu sehr damit beschäftigt, eine Abwehrhaltung einzunehmen, als zu erkennen, dass der Austausch von Fachwissen und Daten für beide Seiten von Vorteil sein kann, selbst wenn man aus derselben Branche kommt.

„Mein Konkurrent von morgen kann heute mein Kooperationspartner sein“, erklärt Bronder. „Niemand macht Digitalisierung allein.“

Um Daten effektiv gemeinsam zu nutzen, sollten Unternehmen Partnerschaften in der öffentlichen Cloud eingehen. Nur Cloud-Lösungen ermöglichen die schnelle Erfassung und Synthese von Daten zwischen Partnern weltweit. Um das zu ermöglichen, sollten Unternehmen eine digitale Infrastruktur und ein gut verwaltetes Cloud-Ökosystem aufbauen.

Politische Herausforderungen

Die Demokratie ist von Natur aus ein langsamer Prozess. In Europa kann er entsetzlich langsam sein. Angesichts der Beschränkungen und aufgrund der festgefahrenen bürokratischen Hürden dutzender Mitgliedstaaten, trotz des moderneren Verordnungs- und Kontrollsystems vor einer Umsetzung sind den Unternehmen beim Versuch, ihren Kunden technische Lösungen anzubieten, oft die Hände gebunden.

Auf politischer Ebene müssen die Gesetzgeber es öffentlich-rechtlichen und privaten Organisationen einfacher machen, sich der digitalen Revolution anzuschließen. Außerdem braucht es Investitionen in die entsprechende Infrastruktur für Cloud-Computing, das Internet der Dinge (IoT) und Big Data.

Mangelnde Digitalisierung im öffentlichen Sektor

Anette Bronder verweist auf Lösungsansätze, damit die Herausforderungen, die sich aktuell bei der digitalen Transformation in Europa stellen, gemeistert werden können. Um Hierarchien neu zu definieren, Infrastrukturen aufzubauen und die Macht der Daten auszuschöpfen braucht es Aus- und Weiterbildung.

„Nichts auf der Welt ersetzt den Menschen“, sagt sie.

Die Monetarisierung und Verarbeitung von Daten erfordert eine menschliche Komponente: von der Softwareentwicklung bis hin zur Data Governance. Das Problem aber ist die unzureichende Digitalisierung im öffentlichen Sektor, insbesondere in den Klassenzimmern.

„Wir denken immer noch, dass jeder, der sich bei Microsoft Teams anmelden kann, jetzt digital ist. Das ist für mich unverständlich. Wenn es um Schulung, Weiterbildung und sogar um die Vermittlung der Grundlagen geht, hinken wir weit, weit hinterher“, beklagt Bronder.

Vielleicht bewegt sich die technologische Welt wirklich schneller, als dass die staatlichen Bildungssysteme mithalten könnten. Ironischerweise ist eine Lösung für diesen Mangel an Agilität die Digitalisierung.

Anette Bronder zeigt auf, wie man die „zweite Halbzeit der Digitalisierung“ gewinnen

Anette Bronder behauptet, dass Europa die erste Halbzeit (das Internet)  der Digitalisierung verschlafen habe. Jetzt agiert sich auf Top Management Kollegen im Verbund, die zweite Halbzeit zu gewinnen.

„Die europäischen Länder sind in einigen Aspekten des digitalen Wettlaufs gut aufgestellt. Wir haben das industrielle Know-how und mehr einheimische Absolventen in den Bereichen Ingenieurwesen und Informatik als die Vereinigten Staaten.“

Der Fokus der öffentlichen und privaten Sektoren Europas müsse darauf liegen, die Digitalisierung einfach zu machen und die Daten zugänglicher. Hierauf würde dann die Software als wichtigster Faktor für die Entwicklung folgen. Unternehmen mit der besten Datenverarbeitungssoftware würden Daten effizienter nutzen und den Kunden die schnellsten und vorteilhaftesten Lösungen anbieten können.

Von der EU-Kommission gibt es gute Nachrichten: Es liegt ein Vorschlag zum Daten-Governance-Gesetz vor. Dieser schafft einen Rahmen für den Austausch von Daten über Unternehmen, Bildungseinrichtungen und humanitäre Organisationen hinweg, indem ein gemeinsamer europäischer Datenraum geschaffen wird. In Kraft treten wird das Gesetz jedoch erst frühestens Ende 2023. Das bedeutet, dass Unternehmen jetzt handeln müssen, um nicht (wieder) von den USA und China abgehängt zu werden.

Nicht nur Anette Bronder macht sich Sorgen: Die Herausforderungen, denen sich europäische Unternehmen bei der Bewältigung der digitalen Transformation stellen müssen, sind enorm. Aber sie glaubt auch, dass die Werte und der Einfallsreichtum Europas es in eine wettbewerbsfähige digitale Zukunft führen werden.

„Wir müssen die Digitalisierung im Kontext unserer Kultur und unseres Wertesystems betrachten und dann eine entsprechende Regulierung finden. Aber wir müssen mutig sein und dürfen keine Angst davor haben, einen Schritt über unsere Vorstellungen hinaus zu gehen.“